Leistungsspektrum
Harninkontinenz
Umgangssprachlich heißt dieses Symptom auch „Blasenschwäche“. Allerdings ist die Blase nicht immer die Ursache. Es gibt fünf unterschiedliche Erscheinungsformen von Harninkontinenz:
- Belastungsinkontinenz: Früher als Stressinkontinenz bezeichnet, weil körperliche Belastung der Auslöser ist: Erhöht sich der Druck im Bauchraum (z.B. beim Anheben schwerer Gegenstände, Husten, Niesen, Lachen), verlieren Betroffene unwillkürlich Urin. In schweren Fällen geht Urin bei jeder Bewegung ab, im Extremfall auch im Stehen oder Liegen. Die Betroffenen verspüren keinen Harndrang, bevor der Urin ungewollt abgeht.
- Dranginkontinenz: Bei dieser Inkontinenz-Form tritt der Harndrang überfallsartig und sehr häufig (teils mehrmals pro Stunde) auf, obwohl die Blase noch gar nicht voll ist. Oft schaffen es die Betroffenen nicht mehr rechtzeitig zur Toilette. Der Urin geht schwallartig ab.
- Reflexinkontinenz: Menschen mit Reflexinkontinenz spüren nicht mehr, wann die Blase voll ist und können auch die Entleerung nicht mehr steuern. Die Blase entleert sich dadurch in unregelmäßigen Abständen von selbst, oft aber nicht vollständig.
- Überlaufinkontinenz: Bei voller Blase fließen ständig kleine Mengen Urin ab. Betroffene können außerdem einen permanenten Harndrang verspüren.
- Extraurethrale Harninkontinenz: Auch hier geht ständig Urin ab, ohne dass der Patient das kontrollieren kann. Allerdings geschieht dies nicht über die Harnwege, sondern durch andere Öffnungen (mediz.: extraurethral), etwa durch die Scheide oder den After.
Ursachen für Harninkontinenz
Die fünf Formen der Harninkontinenz haben sehr unterschiedliche Ursachen, die aber allesamt die Funktion der Harnblase beeinträchtigen.
Diese erfüllt zwei wichtige Aufgaben: Sie muss den Urin speichern und sich (möglichst) zum gewünschten Zeitpunkt entleeren. Beim Speichern ist der Blasenmuskel entspannt. So kann sich die Blase ausdehnen und füllen. Gleichzeitig ist der Schließmuskel angespannt, so dass der Urin nicht gleich wieder über die Harnröhre abfließen kann. Zum Entleeren zieht sich der Blasenmuskel zusammen, während der Schließmuskel mit der Beckenbodenmuskulatur erschlafft. Der Urin kann dann durch die Harnröhre abfließen.
Belastungsinkontinenz
Bei der Belastungsinkontinenz ist der Verschlussmechanismus zwischen Blasenhals und Harnröhre nicht mehr funktionstüchtig. Der Grund kann sein, dass das Beckenbodengewebe verletzt wurde, etwa bei einer Prostata-Operation oder einem Unfall. Auch Nervenverletzungen und -reizungen sowie eine Vorwölbung der Harnblase können eine Belastungsinkontinenz auslösen. Außerdem wird sie begünstigt durch Risikofaktoren wie:
- chronischer Husten
- Übergewicht
- häufiges Heben schwerer Lasten
- Bewegungsmangel (schlecht trainierter Beckenboden!)
- (bei Frauen) nach unten absinkende Beckenorgane (wie Gebärmuttersenkung)
Dranginkontinenz
Bei dieser Form von Inkontinenz wird schon bei einer wenig gefüllten Blase fälschlicherweise das Signal „Blase voll“ ans Gehirn gesendet. Als Reaktion setzt ein nicht kontrollierbarer Harndrang ein. Man spricht auch von „überaktiver Blase“. Mögliche Ursachen der Dranginkontinenz sind:
- Nervenschäden oder -reizungen infolge einer Operation
- neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer, ein Hirntumor oder Schlaganfall
- ständige Reizungen der Blase, zum Beispiel durch Blasensteine oder Harnwegsinfekte (Blasenentzündung)
- nicht ausreichend behandelte Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus): Giftstoffe, die durch den erhöhten Blutzuckerspiegel entstehen, wirken sich auf das Nervensystem aus
- psychische Ursachen
Reflexinkontinenz:
Bei einer Reflexinkontinenz sind Nerven im Gehirn oder Rückenmark, welche die Blase steuern, geschädigt. Das kann etwa bei einer Querschnittslähmung oder einer neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose, Schlaganfall oder Alzheimer der Fall sein.
Überlaufinkontinenz:
Bei dieser Form ist der Blasenausgang blockiert und stört den Harnabfluss, zum Beispiel durch eine vergrößerte Prostata (wie bei gutartiger Prostatavergrößerung) oder eine Harnröhrenverengung. Letztere kann etwa durch einen Tumor oder durch Harnsteine bedingt sein.
Extraurethrale Inkontinenz:
Diese Form der Inkontinenz kann durch angeborene Fehlbildungen oder eine Fistel bedingt sein. Ganz allgemein versteht man unter einer Fistel ein „unnatürliches“ Verbindungskanälchen zwischen zwei Hohlorganen oder einem Hohlorgan und der Körperoberfläche. Im Rahmen der extraurethralen Inkontinenz kann eine Fistel zwischen dem harnableitenden System (wie Blase, Harnröhre) und der Haut, dem Darm oder dem weiblichen Genitaltrakt bestehen. Demenstprechend kann Urin über die Hautöffnung, den After oder die Scheide abgehen. Eine solche Fistel kann sich infolge entzündlicher Prozesse oder nach einer Operation oder Röntgenbestrahlung ausbilden. Verschiedene Medikamente (wie Diuretika, Antidepressiva, Neuroleptika) und auch Alkohol können eine bestehende Harninkontinenz verstärken.
Inkontinenz: Therapie
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Inkontinez zu behandeln. Im Einzelfall wird die Inkontinenz-Therapie an die Form und Ursache der Inkontinenz sowie an die Lebenssituation der Patientin angepasst.
Therapie der Harninkontinenz
Beckenbodentraining: Bei Belastungsinkontinenz lassen sich durch ein Beckenbodentraining unter Anleitung eines Physiotherapeuten manchmal gute Erfolge erzielen. Dabei lernt die Patientin zum Beispiel, die Belastung des Beckenbodens im Alltag zu reduzieren, falsche Anspannungsmuster abzulegen und den Beckenboden mit geeigneten Übungen zu kräftigen.
Elektrotherapie: Hier wird die Beckenbodenmuskulatur passiv durch schmerzlose elektrische Impulse trainiert.
Toilettentraining (Blasentraining): Hierbei muss die Patientin für einige Zeit ein Miktionsprotokoll führen. Darin trägt er jeweils ein, wann er Harndrang verspürt hat, wann er wie viel Urin ausgeschieden hat und ob das Wasserlassen kontrolliert oder unkontrolliert erfolgt ist. Außerdem muss die Patientin notieren, was und wie viel er im Laufe eines Tages oder einer Nacht getrunken hat. Anhand dieser Aufzeichnungen erstellt der Arzt einen Trink- und Miktionsplan. Darin ist festgelegt, wie viel die Patientin trinken darf und wann er zur Toilette gehen soll, um die Blase zu entleeren (auch ohne Harndrang). Ziel ist es, unkontrollierten Harnabgang durch geregeltes Entleeren der Blase zu verhindern.
Das Toilettentraining sollte nur unter ärztlicher Anleitung erfolgen, auch wenn die Patientin das Training selbst zu Hause durchführt.
Hormonbehandlung: Bei einer Inkontinenz infolge von Östrogenmangel in oder nach den Wechseljahren kann der Arzt betroffenen Frauen ein lokales Östrogenpräparat (etwa eine Creme) verschreiben.
Medikamente: Je nach Form der Inkontinenz eignen sich zur Behandlung zum Beispiel krampflösende Medikamente (Drangkinkontinenz) oder sogenannte Alpharezeptorblocker. Letztere können den Blasenverschluss lockern (Überlaufinkontinenz) oder die spontane Aktivität der Harnblasenmuskulatur hemmen (Reflexinkontinenz).
Katheter: Bei einer Reflexinkontinenz muss die Blase unter Umständen über einen Katheter regelmäßig entleert werden.
Operation: Eine extraurethrale Inkontinenz muss immer operativ behandelt werden (etwa durch Verschluss der Fistel). Ein chirurgischer Eingriff kommt bei einer Harninkontinenz erst dann in Betracht, wenn nicht-operative Therapiemaßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Beispielsweise kann dann die Harnröhre durch einen künstlichen Schließmuskel oder eine adjustierbare Schlinge verschlossen werden. Einen ähnlichen Effekt erzielt ein Implantat, das die Harnröhre soweit komprimiert, dass der Urin nicht mehr unwillkürlich abfließen kann. In bestimmten Fällen wird die Harnröhre mit Kollagen oder Silikon stabilisiert, um so die Inkontinenz-Symptome zu lindern. Ein implantierter „Blasenschrittmacher“ kann helfen, eine überaktive Blase zu beruhigen oder eine Blase zu stimulieren, die sich aus eigener Kraft nicht mehr entleeren kann.
Inkontinenz: Das können Sie sonst noch tun
Ja, eine Inkontinenz bedeutet Kontrollverlust. Aber sie bedeutet nicht, dass Betroffene ihr hilflos ausgeliefert sind. Es gibt einiges, was jeder selbst tun kann, um mit der Inkontinenz besser zurecht zu kommen beziehungsweise einer Inkontinenz vorzubeugen:
Inkontinenz-Hilfsmittel benutzen: Vorlagen in verschiedenen Saugstärken, Einmalschlüpfer mit enthaltener Vorlage, Inkontinenzslips oder Analtampons können helfen, im Alltag mit der Inkontinenz umzugehen. Männer mit Harninkontinenz können ein Kondom-Urinal benutzen. Das ist eine Art Kondom, über das der Urin in einen Beutel geleitet wird.
Angemessen oft auf die Toilette gehen: Wer zu häufig oder zu selten auf die Toilette geht, tut seiner Blase nichts Gutes und kann sein Risiko für Harn-Inkontinenz erheblich steigern. Bei zu häufigem Wasserlassen „gewöhnt“ sich die Blase irgendwann an die kleinen Urinmengen und ist dann nicht mehr in der Lage, größere Urinmengen zu speichern. Wer sehr selten auf die Toilette geht, überdehnt seine Blasenmuskulatur ständig und riskiert Funktionsstörungen.
Gewicht reduzieren: Übergewicht stellt einen wichtigen Risikofaktor für Inkontinenz dar. Es erhöht den Druck in der Bauchhöhle und begünstigt so eine Inkontinenz beziehungsweise verstärkt eine bestehende Inkontinenz. Wer zu viel wiegt, sollte also versuchen, abzunehmen. Das wirkt sich auch positiv auf den Erfolg des Beckenbodentrainings aus.
Den Körper pflegen: Durch sorgfältige Körperpflege können Sie Hauterkrankungen als Folge einer Blasenschwäche verhindern.
Blasenfreundlich essen: Vermeiden Sie Lebensmittel, welche die Blase reizen können, zum Beispiel scharfe Gewürze oder Kaffee. Bei einer Stuhlinkontinenz kann eine ballaststoffreiche Ernährung den Stuhlabgang normalisieren. Auf blähende Speisen sollten Sie weitgehend verzichten.
Entspannungstechniken: Entspannungsübungen wie Autogenes Training können helfen, wenn eine Inkontinenz seelische (Mit-)Auslöser hat.
Inkontinenz: Untersuchungen beim Arzt
Vielen Menschen ist es peinlich, wenn sie Urin oder Stuhl nicht mehr richtig halten können. Sie ertragen ihre Erkrankung still und trauen sich nicht einmal, mit ihrem Arzt über das Thema zu sprechen. Ein Fehler, denn es gibt wirksame Hilfen. Betroffene sollten sich deshalb auf jeden Fall baldmöglichst von einem Arzt untersuchen und behandeln lassen.
Erhebung der Krankengeschichte
In einem Gespräch erkundigt sich der Arzt zuerst nach den genauen Beschwerden und der Vorgeschichte des Patienten (Anamnese). So kann er herausfinden, an welcher Form von Inkontinenz jemand leidet und die möglichen Ursachen näher eingrenzen. Mögliche Fragen im Anamnesegespräch sind:
- Seit wann haben Sie unkontrollierten Urin- oder Stuhlabgang?
- Wie oft scheiden Sie Urin / Stuhl aus? • Treten dabei Schmerzen auf?
- Bei welchen Gelegenheiten kommt es zu unfreiwilligem Urin- oder Stuhlabgang?
- Haben Sie das Gefühl, Ihre Blase / Ihr Darm entleert sich nicht vollständig?
- Können Sie spüren, ob Ihre Blase / Ihr Darm gefüllt oder leer ist? • Hatten Sie eine Operation? Haben Sie ein Kind entbunden?
Haben Sie irgendwelche Grunderkrankungen (Diabetes, Multiple Sklerose, Parkinson
Untersuchungen
Verschiedenste Untersuchungen helfen bei der Abklärung einer Inkontinenz. Welche Methoden im Einzelfall sinnvoll sind, hängen unter anderem von Art und Schwere der Inkontinenz ab.
Die wichtigsten Untersuchungen sind:
- Untersuchung der äußeren Genitalien und des Enddarms: Sie liefert Hinweise auf die Ursachen der Inkontinenz.
- gynäkologische Untersuchung: Dabei kann man zum Beispiel eine Gebärmuttersenkung oder Scheidensenkung als Ursache einer Harninkontinenz feststellen.
- Urin- und Blutuntersuchungen: Sie können Hinweise auf Infektionen oder Entzündungen geben.
- Ultraschalluntersuchung: Mittels Ultraschall lässt sich bei einer Harninkontinenz die eventuelle Restharnmenge in der Blase abschätzen. Außerdem können Nieren- oder Blasensteine, Tumoren oder angeborene Fehlbildungen entdeckt werden. Auch Verletzungen nach einer Operation lassen sich im Ultraschall erkennen.
- Urodynamik: Bei Harninkontinenz kann der Arzt mittels urodynamischer Untersuchungen die Funktion der Harnblase beurteilen. So kann man etwa im Rahmen der Uroflowmetrie mithilfe von Elektroden während des Wasserlassens die Harnmenge, die Dauer der Blasenentleerung sowie die Aktivität der Beckenboden- und Bauchmuskulatur messen.
- Blasen- oder Darmspiegelung: Sie kann notwendig sein, um zum Beispiel Entzündungen der Blasen- oder Darmschleimhaut oder Tumoren der Blase oder des Darms aufzudecken.
- Röntgenkontrastaufnahmen: Sie können Aufschluss über eine Fehlfunktion von Blase oder Enddarm geben. Dazu wird die Blase oder der Enddarm zunächst mit einem Kontrastmittel gefüllt. Dann werden Röntgenaufnahmen während des Wasserlassens oder Stuhlgangs gemacht. So lassen sich funktionelle Abläufe analysieren sowie Aus- und Einstülpungen oder innere Vorfälle als Ursache der Inkontinenz erkennen.